Jährlicher Schaden von über 20 Milliarden Euro/Hunderttausende Betroffene
Kapitalanlagebetrug – der Überfall ohne Pistole

"Bei keinem Delikt ist die Dunkelziffer so groß wie hier", sagt der Bamberger Psychologie-Professor Dr. Hermann J. Liebel. Gemeint ist der Kapitalanlagebetrug, dem jährlich tausende Anleger zum Opfer fallen. Nach vorsichtigen Schätzungen der Verbraucherzentralen beträgt der dabei entstehende Schaden rund 20 Milliarden Euro jährlich. Schon seit Jahren untersucht Liebel - in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt -, mit welchen Tricks und Versprechungen betrügerische Anlage- und Fondsfirmen Anleger abzocken.

Fell über die Ohren

Die spektakulären Morde erzeugen in
"Tod eines Anlegers" ein gewaltiges Medienspektakel.

Liebel hat mit Tätern und Opfern gesprochen - und sich vor allem der Prävention verschrieben. Es sind vor allem Menschen ab dem 40. Lebensjahr, die Gelder in geschlossene Immobilienfonds stecken - in der Hoffnung, damit alles für ihre Altersvorsorge getan zu haben. Häufig überschätzen sie ihre Kompetenz in Finanzdingen und unterschätzen die kriminelle Energie und Kompetenz der Betrüger. Die Opfer kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Bei Geschlossenen Immobilienfonds werden besonders gerne Kunden aus weit entfernten Gegenden genommen, damit sie es möglichst schwer haben, sich vor Ort ein Bild von „ihrer“ Immobilie, „ihrer“ Anlage zu machen. Viele Anleger verlieren bei solchen Investitionen ihr gesamtes Vermögen. Häufig nehmen Anleger auch noch Kredite bei ihren Hausbanken auf, um an das „große Geld“ mittels angeblich sicherer Fonds zu kommen. Platzt der Fonds, müssen sie gleich dreimal bluten: Das investierte Geld ist weg, die Hausbank fordert den Kredit zurück – und auch die Finanzämter wollen die anfänglichen Steuerersparnisse zurück. Und es kommt noch schlimmer. Denn windige Anlegeranwälte nutzen die Not ihrer Klientel, um sie mit hohen Gebühren und Erfolgsprovisionen noch mal abzuzocken. "Der Anleger ist das einzige Lebewesen auf der Welt, dem das Fell gleich mehrmals über die Ohren gezogen wird", sagt Liebel.

Leidtragende von Geschlossenen Immobilienfonds - das zeigt der Thriller „Tod eines Anlegers“ – sind jedoch nicht nur die Anleger, sondern auch die mittelständischen Mietern in deren Objekten. Diese Seite der Medaille wurde bisher kaum beachtet. An Firmenkonkursen, so die gängige Meinung, sind immer die Unternehmer selber schuld. Dass auch windige Rahmenbedingungen, Konzeptlosigkeit oder leere Versprechungen seitens der Fondsgesellschaften seriöse und gute Mittelständler in solchen Objekten in den Ruin treiben können, blieb beim Blick auf die geprellten Anleger außen vor.

Moderne Verbrecher

Um an das Geld anderer Leute zu kommen, schrecken viele Täter vor Raub, Überfall, Einbruch, Entführung oder sogar Mord und Totschlag nicht zurück. Doch diese Verbrechen lohnen sich immer weniger. Die Aufklärungsquote ist hoch, die Strafen sind hoch – und die „Gewinne“ angesichts der Risiken für die Täter eher niedrig. Wer heutzutage mit der vorgehaltenen Pistole oder mit dem Brecheisen an das Geld anderer Leute kommen will, gehört zu den Ewiggestrigen, zu den Dummen unter den Ganoven. Moderne Verbrecher rauben Menschen heutzutage mit Geschlossenen Immobilien- sowie dubiosen Schiffs- und Filmfonds aus. Sie geben sich seriös, sind rhetorisch geschickt, gebildet, selbstsicher, psychologisch geschult und zeichnen sich durch eine enorme Hartnäckigkeit aus. Der Erstkontakt erfolgt meist über Telefonanrufe. Das Risiko für die Täter in Herrenstreifenanzug und mit Rendite ausspukenden Laptops war bisher gering, die Haftstrafen niedrig – und die ergaunerten Gelder immens.

Kriminalstatistik

Ein Blick in die „Polizeiliche Kriminalstatistik“ des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden für das Jahr 2006 macht doch schon sehr nachdenklich. 95 887  Fälle von Wirtschaftskriminalität sind dort erfasst. Betrug und Untreue in Zusammenhang mit Beteiligungen und Kapitalanlagen gab es in 18 324 Fällen – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 65,6 Prozent. Wirtschaftskriminalität in Anlage- und Finanzierungsbereich wurde in 22 791 Fällen (ein Plus gegenüber 2005 von 81.9 Prozent). Diese Zahlen mögen manche angesichts der Häufigkeit anderer Straftaten nicht besonders hoch erscheinen, doch geht es in den meisten Fällen um viel Geld und viele Betrogene. Für Immobilienfonds kommen schnell Summen zwischen 50 und 100 Millionen Euro (und mehr) zusammen. Platzt ein solcher Immobilienfonds, so ist der Schaden beträchtlich. Das weiß auch das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA), das vorbeugend extra eine „Checkliste für Geldanlagen“ ins Internet (www.lka.nrw.de) gestellt hat, „damit man Sie nicht verkohlt“. Hinzu kommt: In die Polizei-Statistik fließen keine Zahlen der Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Finanzämter ein, die unmittelbar ohne die Polizei ermittelten. Und die veröffentlichten Zahlen sind sicherlich nur die Spitze eines Eisberges.

Großes Dunkelfeld

Zehntausende erboste Anleger protestieren in dem Thriller gegen die Schrottimmobilie Velser-Center am Königsplat.

Das glaubt auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden: „Bei der Wirtschaftskriminalität ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen“, da die Anzeigebereitschaft aus dem Kreis der Opfer gering ist. Die Gründe für dieses Dunkelfeld sind vielfältig: Eine Minderheit der Anleger ist selber nicht koscher, sie stecken in solche Anlage- und Finanzierungsmodelle ihr Schwarzgeld. Geht dann ein solches Projekt den Bach runter, so können die betrogenen Betrüger nicht klagen, ohne sich nicht selber in Schwierigkeiten zu bringen. Die anständigen Anleger, die in solche Fonds wegen der Altersvorsorge investieren, schämen sich zuzugeben, auf die Betrüger hereingefallen zu sein.  Zum anderen ist es vielen Anlegern nicht bewusst, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, ihr Geld zu retten und Schadensersatzforderungen durchzusetzen. Fondsinitiatoren, finanzierende Banken, Geschäftsleitung, Anlageverkäufer, Wirtschaftsprüfer, Vermittler der Kapitalanlagen, der Aufsichtsrat bei unterlassener Kontrollpflicht, ja sogar Behörden und Regierungsstellen (etwa bei Nicht-Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Normenrecht) können in Haftung genommen werden. Viele Anleger scheuen jedoch die gerichtliche Auseinandersetzung, kennen nicht die richtigen Fachanwälte für solche Verfahren, glauben, ein Prozess oder der Anwalt (weil der ja schon mal einen prominenten Geschädigten vertreten hat) seien zu teuer. Verbraucherzentralen oder Anlegerschutz- und Immobilienopfer-Organisationen können in solchen Fällen wertvolle Tipps geben.   

Strafgesetzbuch
 
Im Strafgesetzbuch regelt der § 264a den Kapitalanlagebetrug. Dort heißt es: „Wer im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Wertpapieren, Bezugsrechten oder von Anteilen, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, oder dem Angebot, die Einlage auf solche Anteile zu erhöhen, in Prospekten oder in Darstellungen oder in Übersichten über den Vermögenstand hinsichtlich der für die Entscheidung über den Erwerb oder die Erhöhung erhebliche Umstände gegenüber einem größeren Kreis unrichtige vorteilhafte Angaben macht oder nachteilige Tatsachen verschweigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Das heißt: Unklarheiten, Widersprüche oder auch falsche Angaben dürfen in einem Immobilienfondsprospekt nicht stehen. Es dürfen weder nachteilige Tatsachen verschwiegen werden, noch dürfen unrichtige, vorteilhafte Angaben aufgestellt werden, die eine positive Entscheidung für einen Anteilskauf beeinflussen. Letzteres bezieht sich nicht nur auf reine Tatsachen, sondern auch auf Bewertungen und Prognosen, die einem Prospekt stehen. Sind jedoch solche objektiven Tatbestände gegeben, so liegt ein Kapitalanlagebetrug nach § 264a des Strafgesetzbuches vor.

Eine allgemein-zivilrechtliche Prospekthaftung greift nach Ansicht von Fachjuristen dann, „wenn ein relevanter Mangel im Prospekt festzustellen ist, den der Anleger gegenüber den Prospektverantwortlichen geltend macht. Relevante Mängel können bei all denjenigen Angaben auftreten, die der Anleger für seine Entscheidung, sich an dem Fonds zu beteiligen, direkt benötigt oder heranziehen könnte. Dabei spielt die Vertrauenshaftung gegenüber dem Anleger eine große Rolle. Dieser muss nämlich erwarten können, dass der Prospekt ihn über alle Umstände, die für seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, sachlich richtig und vollständig unterrichtet. Geschieht dies nicht, kommt die Prospekthaftung ins Spiel. So zum Beispiel, wenn dem Prospekt nicht zu entnehmen ist, dass das von dem Anleger aufgebrachte Kapital zu wesentlichen Teilen an den Investor zurückfließt und für die beworbene Investition nicht zur Verfügung steht. Auch das Werben im Prospekt mit nach aller Wahrscheinlichkeit nicht realisierbaren Renditen stellt einen relevanten Mangel dar. “

Ein Urteil des Berliner Kammergerichts vom 27.4.2001 (Az: 15 U 2630/00) macht allen Anlegern Mut, auch mit wirtschaftlichen Argumenten Schadenersatzansprüche nicht nur anzumelden, sondern sie auch erfolgreich durchzusetzen.

So würdigt „Der Immobilien Brief“ in seiner Ausgabe vom 10.8.2001 die Entscheidung der Berliner Richter: „Denn ein Faktum haben die meisten gescheiterten Immobilenfonds gemeinsam: Die Immobilien werden zu völlig überhöhten Preisen in den Fonds eingebracht. Um dies den Anlegern schmackhaft zu machen, weist der Prospekt auf angebliche Wachstumsmärkte hin (betreutes Wohnen etc.). Außerdem stellt der Initiator oder Vertrieb die Miet-, Pacht- und Garantieverträge heraus, die der Fondsgesellschaft auf Jahre hinaus Einnahmesicherheit geben sollen. Die diesen Verträgen zugrunde liegende Kalkulation ist aber in der Regel unrealistisch oder zumindest hochspekulativ. Das Risiko der Mietminderung oder sogar des Zahlungsausfalles ist hoch bzw. wird anscheinend sofort einkalkuliert. Tritt der Zahlungsausfall ein, so ist auch die Fondsgesellschaft in der Regel sofort insolvent. Meist verfügt sie über keine nennenswerte Liquiditätsreserve. Vielfach können Marktkenner solche Pleiten von Anfang an voraussagen. Aber kann sich ein Anleger bei der Schadensersatzklage auf derartige betriebswirtschaftliche Selbstverständlichkeiten stützen? Bisher war die Antwort ´Nein`“.

Die Richter urteilten in dem ihnen vorliegenden Falle nun ganz anders: „Aufgrund der gegebenen Besonderheiten gehörte es zu den von den Initiatoren des Fonds zu erfüllenden Kardinalpflichten, nicht nur die Solvenz der Vertragspartner zu prüfen, sondern auch eigenständig zu untersuchen, ob für profitorientierte privatwirtschaftliche Unternehmen ein profitabler Betrieb der gepachteten Objekte möglich werde.“

Dieses Urteil stelle aber eine weit reichende Entscheidung für den Anlegerschutz dar, schreibt „Der Immobilien Brief“ weiter: „Der Initiator muss ein seriöses, wirtschaftlich lebensfähiges Produkt auf den Markt bringen. Dafür haftet er. Auch der Vertrieb ist verpflichtet, die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Konzeptes eigenhändig zu prüfen. Sonst haftet auch er. Der Initiator kann sich entsprechend dem Kammergerichtsurteil auch nicht dadurch entlasten, dass er auf verschlungenen Wegen einen ‚no Name-Pächter´ in das Objekt setzt. Bislang wurde dafür oftmals noch ein vom Initiator selbst kontrolliertes Unternehmen eingesetzt. Und im Misserfolgsfalle zuckte er entschuldigend die Achseln.“